von Deniz Dilek
In zwei lev-Workshops zum Thema „Komponieren mit Field Recordings“ haben Schüler*innen des Otto-Nagel-Gymnasiums sowie Erwachsene in der Heinrich-Schulz-Bibliothek Ende September und Anfang Oktober kurze Stücke aus eigens aufgenommenen Umweltgeräuschen komponiert.
Der Begriff Field Recording bezeichnet allgemein das Aufzeichnen von Klängen außerhalb eines Studios. Dieser Prozess umfasst vielseitige Ansätze und Arbeitsmethoden, von Pierre Schaeffers Musique Concrète über ethnologische Aufnahmen bis hin zur musikalischen Nutzung aufgenommener Klänge oder Klangumgebungen im Sound Design Elektronischer Musik. Allen gemeinsam ist die Idee, das Hören der Welt auf verschiedene Arten zu fokussieren – unter Berücksichtigung ästhetischer, politischer oder ökologischer Aspekte.
Die Schüler*innen des ONGs sollten sich zunächst in kleinen Teams zusammentun und ein Klangobjekt suchen, auf das sie sich thematisch konzentrieren würden. Dabei war es ihnen überlassen, ob sie sich auf das musikalische Potenzial von Innenräumen der Schule, Umweltgeräusche im Außenbereich oder die aktive Geräusche-Produktion mithilfe eines oder mehrerer Klangobjekte beschäftigen wollen. Sie sollten außerdem Fotos ihrer gewählten Klangerzeuger bzw. Klangumgebung machen. Eine Idee dabei war, weitere Assoziationen in einem audiovisuellem Kontinuum zwischen Naturgegenständen und deren Verwendung in einem künstlerischen Kontext zu triggern.
Interessant fand ich es, während der Aufnahme-Sessions der einzelnen Schüler-Teams zu beobachten, dass einige von ihnen nach einem scheinbaren Drehbuch vorgingen, indem sie von Anfang an genau wussten, welche Geräusche sie produzieren wollten, während andere ihre Klänge eher zufällig fanden. Nach einer Stunde begannen sie mit ihren Arrangements in Ableton Live. Dabei entstanden kurze Beats, aber auch Stücke, deren musikalischen Ideen eher auf den natürlichen Rhythmen, weiteren Sonoritäten oder auf erzählerischen Metaphern der editierten und collagierten Field Recordings basieren. Spannenderweise werden neue Klang-Kapitel bzw. Soundscape-Räume hier und dort auch mal durch kurze perkussive Auftakt-Klänge (Impacts) eröffnet und auch weitere Gestaltungsmittel elektroakustischer Komposition nutzen einige Schüler*innen scheinbar intuitiv.
Der folgende Foto-Film fasst alle im Workshop entstandenen Audio-Stücke mit den Bildern ihrer Klangquellen zusammen:
In der Heinrich-Schulz-Bibliothek stand am ersten Tag das Suchen und Aufnehmen der Klänge inklusive künstlerischer Mikrofonierungs-Möglichkeiten im Vordergrund. Mikrofone und Aufnahmegeräte sind keine neutralen Medien, sondern nehmen direkten Einfluss auf den ursprünglichen Klang. Das positionierte oder bewegte Mikrofon wird zum eigentlichen Instrument eines jeden Soundscapes. Dabei gibt es vieles zu hören. Ein Field Recording kann durch die körperlichen Bewegungen des Aufnehmenden mehr oder weniger bewusst inszeniert werden. Eine künstlerische Entscheidung des Mikrofonmusikers dabei ist die zum Klangkörper eingenommene Distanz und ob diese statisch bleibt oder während der Aufnahme verändert wird. Zufällig gefundene Geräusche treffen auf absichtlich betonte Klangereignisse. Die Geräuschesammlerin wandert durch einen Klangraum und entscheidet sich für eine Geschwindigkeit seiner zu gestaltenden Hörszene (analog der Geschwindigkeit einer Kamerafahrt beim Film). Hier als Beispiel ein Recording von einer Workshop-Teilnehmerin, in dem sie sich verschiedenen Personengruppen nähert und von diesen wieder distanziert.
Oder aber der Geräuschesammler wird zum improvisierenden Musiker, indem er auf einem gefundenen Objekt spielt und dieses Objekt dabei auf seine Klangmöglichkeiten hin untersucht:
Am zweiten Tag standen das Audio-Editing und die musikalische Bearbeitung mit Filtern und Audio Effekten zur Debatte. Als Inspirationsfutter dienten ein paar Beispiele in Ableton mit den softwareeigenen Sampler und Simpler-Instrumenten und einigen Max4Live Devices. Einige Bearbeitungs-Möglichkeiten von Field Recordings in unterschiedlichen musikalischen Kontexten sind dem folgenden Screenshot meiner Workshop-Folie sowie dem Video darunter zu entnehmen:
Die Workshop-Teilnehmer*innen bearbeiteten ihre Aufnahmen an eigens mitgebrachten Laptops mit unterschiedlichen Schnittprogrammen(DAWs). Viele skizzierten Grooves aus kurzen Drum-Sounds, die sie zuvor aus längeren Field Recordings heraus editiert hatten, um diese dann mit Midi-Noten zu sequenzieren. Andere schnitten Passagen aus ihren Aufnahmen zu asynchronen Loops zusammen und bearbeiteten diese anschließend mit LFOs und Delay-Effekten; beides kann man im folgenden Video sehen und hören:
In einer abschließenden Hör-Session wurden alle Stücke, ihre Entstehungsprozesse sowie offene Fragen diskutiert, wobei deutlich wurde, wie Field Recordings in verschiedenen Kontexten neuen musikalischen Ideen Raum geben können.
Vielen Dank an den Musiklehrer Matthias Weißschuh des ONG-Gymnasiums in Berlin-Biesdorf sowie an Julian Obando Rodriguez von der Musikfachabteilung der Heinrich-Schulz-Bibliothek Berlin-Charlottenburg.