Zukunftsmusik – Elektronische Musik und ihre Vermittlung

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Gedanken zum Projekttutorium von Piotr Niedzwiecki und Gisbert Schürig an der Humboldt-Universität zu Berlin

Im Som­mer­se­mes­ter 2024 haben wir an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin ein Pro­jekt­tu­to­ri­um ange­bo­ten. The­ma waren Mög­lich­kei­ten, mit elek­tro­ni­schen Mit­teln Musik zu machen und wie sie sich gut päd­ago­gisch ver­mit­teln las­sen. Dabei haben wir prak­ti­sche Erkun­dun­gen in einen his­to­ri­schen Zusam­men­hang der Ent­wick­lung von Musik­in­stru­men­ten gestellt, beson­de­res Augen­merk galt For­men auto­ma­ti­schen Musik­ma­chens. Abschlie­ßend haben die Stu­die­ren­den Ergeb­nis­se im Medi­en­thea­ter des Insti­tuts für Musik­wis­sen­schaft und Medi­en­wis­sen­schaft der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin prä­sen­tiert. Die anfal­len­den Arbeits- und Lern­pro­zes­se haben wir mit Video­auf­nah­men doku­men­tiert und mit den Stu­die­ren­den reflek­tiert. Ver­glei­chend haben wir dabei Lehr­plä­ne zur Arbeit an Musik­schu­len her­an­ge­zo­gen, außer­dem Erfah­run­gen mit ver­schie­de­nen For­men von Instru­men­tal­päd­ago­gik, ein­ge­bracht von den Stu­die­ren­den und von uns.

Hier möch­ten wir gerne:

  • von der Lehr­ver­an­stal­tung berichten
  • Schlüs­se aus den Erfah­run­gen ziehen
  • Ideen ein­brin­gen in die Dis­kus­si­on zur Zukunft der Instrumentalpädagogik

Sind Musikautomaten Musikinstrumente? Ein kurzer Blick in die Geschichte

Um das prak­ti­sche Arbei­ten mit den Auto­ma­tis­men von Sequen­zern in einen grö­ße­ren his­to­ri­schen Kon­text zu stel­len, haben wir ein­lei­tend ein Refe­rat zur tech­ni­schen Ent­wick­lung des Musik­in­stru­ments gehört. Die wesent­li­che Refe­renz dafür war Bernd Enders Text „Vom Idio­phon zum Touch­pad“. Enders beschreibt eine all­mäh­li­che tech­ni­sche Ent­wick­lung von Musik­in­stru­men­ten hin zu grö­ße­rer Kom­ple­xi­tät und Abs­trakt­heit. Eini­ge wich­ti­ge Sta­tio­nen sei­en hier kurz genannt:

In einem ers­ten Schritt, der Instru­men­ta­li­sie­rung, wur­den nicht mehr nur Kör­per und Stim­me musi­ka­lisch genutzt, son­dern erwei­tern – zunächst schlich­te – Instru­men­te wie z. B. Flö­ten und Trom­meln die Mög­lich­kei­ten mensch­li­chen Musikmachens. 

Es folg­te die Mecha­ni­sie­rung, wie wir sie bei der kom­ple­xen Mecha­nik einer Kla­vier­tas­ta­tur fin­den. Die Auto­ma­ti­sie­rung zeigt sich an Bei­spie­len wie der Dreh­or­gel oder der Spiel­uhr. Die Details musi­ka­li­scher Abläu­fe sind hier bereits als codier­te Mus­ter gespei­chert, die nur noch gestar­tet wer­den müssen.

Ein Bei­spiel für mecha­ni­sier­te, auto­ma­ti­sier­te Musik: Orches­tri­on (ca. 1900) im Deut­schen Phonomuseum

Von hier ist der Weg nicht weit, sol­che Spei­che­run­gen nicht nur mecha­nisch, son­der auch elek­tro­nisch und im wei­te­ren digi­tal vor­zu­neh­men. Im Zuge der Elek­tro­ni­fi­zie­rung und Modu­la­ri­sie­rung haben wir es schließ­lich zu tun mit Sequen­zern, die z. B. Syn­the­si­zer steuern.

Vom analogen Sequenzieren zum hybriden Musikmachen – Praxis im Projekttutorium

Wir haben im Tuto­ri­um nach­ein­an­der den Fokus auf ver­schie­de­ne For­men des Sequen­zie­ren gelegt. Zunächst haben wir Hard­ware-Sequen­zer erkun­det um letzt­lich ein hybri­des Set­up zu nut­zen: Digi­ta­le Sequen­zer und Con­trol­ler steu­ern Musik­soft­ware, kom­bi­niert mit hand­ge­spiel­ten Instrumenten.

Die­ses all­mäh­li­che Fort­schrei­ten hat­te zwei Grün­de. Zum einen wur­de so die tech­ni­sche Ent­wick­lung der letz­ten 50 Jah­re auf die­sem Gebiet greif­bar, zum ande­ren gehen die wach­sen­den Mög­lich­kei­ten digi­ta­ler Instru­men­te auch mit einer grö­ße­ren Kom­ple­xi­tät ein­her. Mit rela­tiv ein­fa­cher auf­ge­bau­ten Instru­men­ten ein­zu­stei­gen mach­te die unver­meid­li­che Kom­ple­xi­tät zugäng­li­cher, da die musi­ka­li­schen Mög­lich­kei­ten der ver­wen­de­ten Gerä­te sich par­al­lel mit den wach­sen­den Erfah­run­gen der Stu­die­ren­den schritt­wei­se erweiterten.

Arbeiten mit dem Sequenzer des Moog DFAM

Eine Sequenz läuft unver­än­dert ab (unten: Moog DFAM), neue Ein­stel­lun­gen am Syn­the­si­zer erge­ben klang­li­che Ver­än­de­run­gen (oben: Moog Mother-32)

Begon­nen haben wir mit dem Sequen­zer des Moog DFAM Syn­the­si­zers. Die­ses Gerät ist zwar erst seit 2018 erhält­lich, der inte­grier­te Sequen­zer ent­spricht aber eher Model­len der 1970-Jahre.

Das zeigt sich an einer Rei­he von Eigenschaften:

  • Sequen­zen kön­nen nicht gespei­chert wer­den, es gilt immer nur die jeweils aktu­el­le Ein­stel­lung der ent­spre­chen­den Regler.
  • Die Reg­ler sind nicht nach musi­ka­li­schen Kri­te­ri­en, z. B. Ton­ar­ten oder der tem­pe­rier­ten Stim­mung geras­tert. Statt des­sen bie­ten sie ein regel­ba­res Tonhöhen-Kontinuum.
  • Eine Sequenz besteht aus maxi­mal 8 ein­ge­stell­ten Tonhöhenwerten.

Ver­gleicht man die­se Eigen­schaf­ten mit den qua­si end­lo­sen Ton­fol­gen, die sich mit heu­ti­ger Musik­soft­ware spei­chern und ablau­fen las­sen, dann ist die­ser Funk­ti­ons­um­fang sehr beschränkt. Aber auch im Ver­gleich mit den Mög­lich­kei­ten des Loch­ban­des bzw. der Noten­rol­le eines selbst-spie­len­den Kla­vie­res erschei­nen nur acht Töne unge­heu­er begrenzt.

Den­noch hat so ein Gerät auch heu­te noch sei­ne Rele­vanz: als Instru­ment, bei dem der Ablauf gespei­cher­ter Wer­te mit ste­ti­gem Nach­re­geln Hand in Hand geht. Die spe­zi­fi­sche Kom­bi­na­ti­on eines über­sicht­li­chen, weil eng begrenz­ten Spei­chers mit direk­tem Zugriff legen eine spe­zi­el­le Form des Musik­ma­chens nahe: anders als bei hand­ge­spiel­ten Instru­men­ten wie Gitar­re oder Kla­vier muss nicht jeder Ton in Echt­zeit manu­ell her­vor­ge­bracht wer­den. Den­noch wird eben nicht jede Wen­dung eines län­ge­ren Ver­laufs im Vor­feld fixiert, wie das auf einem Noten­blatt oder der Stift­wal­ze einer Dreh­or­gel in der Regel der Fall wäre. Auto­ma­tis­men und direk­te Ein­wir­kung gehen hier Hand in Hand, so wie das bei vie­len Kul­tur­tech­ni­ken des moder­nen Lebens z. B. beim Auto­fah­ren längst völ­lig selbst­ver­ständ­lich ist.

Genau so eine Kom­bi­na­ti­on ist stil­prä­gend für eine Rei­he ver­schie­de­ner Gen­res elek­tro­ni­scher Musik wie Acid, Tech­no oder Industrial.

Expertise durch Höhrerfahrung

Es ist nicht über­ra­schend, das ein Tuto­ri­um zu elek­tro­ni­scher Musik von Stu­die­ren­den besucht wird, die sich für elek­tro­ni­sche Musik inter­es­sie­ren. Im Lau­fe des Tuto­ri­ums refe­ren­zier­ten sie diver­se Musik­sti­le und Kon­tex­te, Musi­ken zum Hören, zum Tan­zen, auch Film­mu­sik kam zur Spra­che. In der ers­ten prak­ti­schen Annä­he­rung an die von uns bereit­ge­stell­ten Gerä­te wur­de schnell deut­lich, dass die Stu­die­ren­den die­sen kei­nes­wegs ahnungs­los gegen­über­stan­den, auch wenn es in fast allen Fäl­len wohl die ers­te Nut­zung die­ser Gerä­te war. Ganz im Gegen­teil: die Ver­traut­heit mit den kur­zen, wie­der­hol­ten Ton­fol­gen wie sie für oben genann­te Gen­res grund­le­gend sind, ermög­lich­te in Kom­bi­na­ti­on mit dem über­schau­ba­ren Sequen­zer des Moog DFAM nahe­zu unmit­tel­bar Erfah­run­gen musi­ka­li­schen Gestal­tens. Die Funk­tio­nen und kom­ple­xen Wech­sel­wir­kun­gen der vie­len Reg­ler waren zwar unver­traut. Typi­sche klang­li­che Kon­stel­la­tio­nen, cha­rak­te­ris­ti­sche Ver­läu­fe, die sich erga­ben, waren aber sehr ver­traut. Umfang­rei­che Hör­erfah­run­gen mit elek­tro­ni­scher Musik lie­fer­ten offen­sicht­lich einen ori­en­tie­ren­den Kon­text und das offe­ne Expe­ri­men­tie­ren mit ver­schie­de­nen Ein­stel­lun­gen führ­te nicht sel­ten zu Klang­er­geb­nis­sen, die bereits hörend ver­traut waren.

Arbeiten mit dem Arturia Beatstep Pro

Nach die­sen ers­ten Erfah­run­gen haben wir in einem zwei­ten Schritt musi­ka­li­sche Erkun­dun­gen mit einem kom­ple­xe­ren, digi­ta­len Sequen­zer begon­nen: dem Beat­step Pro von Artu­ria. Der hat einen deut­lich grö­ße­ren Funk­ti­ons­um­fang, es las­sen sich par­al­lel drei Spu­ren sequen­zie­ren.
Zwei die­ser Spu­ren sind für melo­di­sche Sequen­zen aus­ge­legt, eine drit­te Spur ist für Schlag­zeug-Mus­ter opti­miert. Die Län­ge und Lauf­rich­tung der Spu­ren ist indi­vi­du­ell ein­stell­bar. Sequen­zen las­sen sich in vie­len Pre­sets abspei­chern. Dar­aus erge­ben sich viel mehr Mög­lich­kei­ten, aber eben auch höhe­re Anfor­de­run­gen an die Ori­en­tie­rung am Gerät. 

Der Artu­ria Beat­step Pro (links) sequen­ziert zwei Stim­men des Ver­mo­na Per­for­mer MkII. Einen Kick­drum-Sound sowie einen Sna­re-Sound. Die zwei Anschlä­ge des Sna­re-Klangs sind gelb leuch­tend auf dem Sequen­zer zu sehen.

In einem nächs­ten Schritt wird hier eine Kick­drum-Sequenz mit einer melo­di­schen Sequenz kombiniert:

Der ers­te von drei Tönen in der melo­di­schen Sequenz wird im Video oben stets neu ein­ge­stellt, bis die erwünsch­te Ton­fol­ge erreicht ist.

Hybrides Setup – Controller, Musiksoftware und Synthesizer

Vom Sequen­zie­ren ana­lo­ger Syn­the­si­zer sind wir schließ­lich über­ge­gan­gen zum Arbei­ten mit Musik­soft­ware. Bei Sit­zun­gen im Medi­en­stu­dio des Insti­tut für Musik­wis­sen­schaft und Medi­en­wis­sen­schaft der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Ber­lin haben wir ein Set­up zusam­men­ge­stellt, das eine gan­ze Rei­he von Gerä­ten mit diver­sen Funk­tio­nen mit­ein­an­der kombinierte:

  • Zwei Con­trol­ler und ein Audio-Inter­face sind ver­bun­den mit der Klang­er­zeu­gung, die in der Soft­ware Able­ton Live umge­setzt wird
  • Beat­step Pro dient als Sequen­zer für Bass und Drums­ounds in Able­ton Live
  • Launch­pad XL dient als Con­trol­ler zur Ein­stel­lung der Laut­stär­ken und Effekt­ein­stel­lung ver­schie­de­ner Kanä­le in Able­ton Live
  • Das Zoom Live­track 12 (Audio-Inter­face im Video hin­ten rechts) dient dazu, wei­te­re Syn­the­si­zer einzubinden
Drums­ounds aus­su­chen in der Soft­ware Able­ton Live

Im Umgang mit die­sem Set­up haben die Stu­die­ren­den je ver­schie­de­ne Rol­len in einem Gesamt­ge­fü­ge ein­ge­nom­men, haben also agiert wie Mit­glie­der eines Ensem­bles, deren ein­zel­ne Akti­vi­tä­ten den Gesamt­klang prä­gen. Die Rol­len erga­ben sich im wesent­li­chen dar­aus, wer wel­chen Con­trol­ler bzw. wel­ches Instru­ment bediente.

Fol­gen­de Rol­len wur­den dabei ausgefüllt:

  • Sequen­zie­ren: Abspie­len ver­schie­de­ner Sequen­zen ent­spre­chend einer abge­spro­che­nen Dramaturgie
  • Mixing & Sound-Design der am Com­pu­ter ablau­fen­den Bass- und Drum-Sequenzen
  • Dro­nes und Sound-Design mit Hardware-Synthesizer
  • Melo­dien mit Hard­ware-Syn­the­si­zer & elek­tri­scher Geige

Die­se prak­ti­schen Erkun­dun­gen haben wir kon­tex­tua­li­siert indem wir anhand von Vide­os zu Tech­ni­ken hybri­den Musik­ma­chens recher­chiert haben. Hier ein Bei­spiel zur Kom­bi­na­ti­on von Soft­ware (Able­ton Live) mit hän­di­schem Spiel von Instrumenten:

Außer­dem haben wir die spe­zi­fi­sche Kom­bi­na­ti­on hand­ge­spiel­ter Instru­men­te mit dem Steu­ern auto­ma­ti­scher Abläu­fe anhand des Begrif­fes Liveness reflek­tiert. Rel­vant ist hier z. B. das Buch „Liveness in Modern Music“ von Paul San­den, auch der Arti­kel „Kom­mu­ni­ka­ti­ve Stra­te­gien und Ideo­lo­gien von Liveness bei Lap­top-Per­for­man­ces“ von Mark J. But­ler. Nicht zuletzt war auch der Arti­kel „Kör­per­lich­keit in digi­ta­len Musik­prak­ti­ken mit Apps“ von Mat­thi­as Krebs erkenntnisleitend.

Impres­si­on aus dem Pro­ben­pro­zess im Medienstudio

Präsentation im Medientheater

An die oben beschrie­be­ne Recher­che und Explo­ra­ti­on schloss sich schließ­lich eine prak­ti­sche Prä­sen­ta­ti­on im Medi­en­thea­ter der Hum­boldt Uni­ver­si­tät, Fach­ge­biet Medi­en­wis­sen­schaf­ten, an. Die prak­ti­sche Prä­sen­ta­ti­on fand statt im Rah­men einer gemein­sa­men Abschluss­prä­sen­ta­ti­on mit dem Semi­nar Klang­ar­chäo­lo­gi­sche Stu­di­en am Syn­the­si­zer, gelei­tet von Chris­ti­na Dörf­ling & Mar­tin Mei­er, sowie mit der Ver­an­stal­tung Kon­zept Medi­en­thea­ter, gelei­tet von Flo­ri­an Leitner.

Die Prä­sen­ta­ti­on beinhal­te­te sowohl die Demons­tra­ti­on von Musik- und Per­for­mance-Prak­ti­ken, die Gegen­stand der Explo­ra­ti­on waren, als auch Erläu­te­run­gen zum Pro­zess der Aneig­nung und der Aus­wahl und Gestal­tung der aus­ge­wähl­ten Prak­ti­ken. Neben die Dar­bie­tung von Musik­ma­chen trat somit das Erklä­ren eben die­ses Machens.

Schnapp­schuss von der ers­ten Pro­be im Medientheater.

In Form von Sam­ple-trig­gern­dem Gei­gen­spiel wur­de aber auch das Erklä­ren des Musik­ma­chens wie­der­um zu Musik:

Gei­gen­tö­ne trig­gern Stimm­samples in der Musik-App ReS­li­ce

Inso­fern wur­de nicht nur das prä­sen­tier­te Musik­ma­chen erklärt, son­dern wur­den die­se Erklä­run­gen ihrer­seits wie­der zum Mate­ri­al des Musikmachens.

Das Gei­gen­spiel bil­de­te im Rah­men der Prä­sen­ta­ti­on einen beson­de­ren Kon­trast zur Steue­rung auto­ma­ti­scher Sequen­zen und Effek­te. Die tra­di­tio­nel­le Pra­xis, Musik anhand eines Noten­tex­tes von vor­ne bis hin­ten zu repro­du­zie­ren fand eine deut­lich modi­fi­zier­te Anwen­dung: ein­zel­ne Phra­sen in der Nota­ti­on dien­ten als melo­di­sches Mate­ri­al, wel­ches die Gei­ge­rin in frei­em Tem­po mit den ablau­fen­den Sequen­zen und Beats impro­vi­sa­to­risch kombinierte.

Musik­no­ten, hier ver­wen­det als Reper­toire von melo­di­schen Phra­sen, die impro­vi­sa­to­risch ein­ge­setzt werden.

Hier ein kur­zer Aus­schnitt aus der Präsentation:

Zukunftsmusik – Für eine stärkere Integration automatisierten Musikmachens in die Instrumentalpädagogik

Im Zuge der Beschrei­bung des Semi­nar­ver­laufs soll­ten eini­ge Punk­te deut­lich gewor­den sein:

  • Auto­ma­ti­sier­te Musik hat eine lan­ge Geschich­te, die direkt aus der Ent­wick­lung von Musik­in­stru­men­ten erwach­sen ist
  • im Zuge der wei­ten Ver­brei­tung Elek­tro­ni­scher Musik sind Prak­ti­ken auto­ma­ti­sier­ten Musik­ma­chens inzwi­schen fes­ter Bestand­teil von Musikkultur
  • musi­ka­li­sche Auto­ma­tis­men wie z. B. Beats und Sequen­zen sind Teil des impli­zi­ten musi­ka­li­schen Wis­sens; von den Stu­die­ren­den wur­den sie direkt ver­stan­den und umge­hend eigen­stän­dig gestaltet

Wir fra­gen uns: Wo sind Ange­bo­te zu sol­chen For­men auto­ma­ti­sier­ten elek­tro­ni­schen Musik­ma­chens an Musik­schu­len? Hier ein Blick auf die Schü­ler­an­tei­le nach Fächern an VdM-Musik­schu­len im Jahr 2022:

Quel­le: https://miz.org/de/statistiken/version/2021-schuelerinnen-der-vdm-musikschulen-nach-faechern

Elek­tro­ni­sche Musik ist in die­ser Sta­tis­tik nicht per se erwähnt, es ist aber mit Sicher­heit anzu­neh­men, dass im Rah­men des Unter­richts von Tas­ten­in­stru­men­ten z. B. auch Orgeln, Key­boards und Syn­the­si­zer behan­delt wer­den, sowie dass bei den Zupf­in­stru­men­ten auch der Unter­richt von E-Gitar­re und E-Bass sub­su­miert sind. Instru­men­te, deren Klang­er­zeu­gung elek­tro­nisch, deren Spiel aber hän­disch statt­fin­det, fin­den im Ange­bot die­ser Musik­schu­len durch­aus einen Platz. Auto­ma­ti­sier­tes Musik­ma­chen aber, wie wir es im Semi­nar ins­be­son­de­re in den Fokus genom­men haben, erscheint hier marginalisiert.

War­um? Unse­re The­se: Auto­ma­ti­sier­te Musik bedarf nicht des lang­wie­ri­gen moto­ri­schen Trai­nings son­dern ist auch ohne aus­gie­bi­ges kör­per­li­ches Üben prak­ti­zier­bar. Genau die­ses Trai­nie­ren aber, die Unter­wei­sung in kör­per­li­chem Üben scheint unver­zicht­ba­res Merk­mal zu sein, wenn es um die Aus­wahl geht, was an Musik­schu­len unter­rich­tet wird und was kei­ne Berück­sich­ti­gung findet.

Musik­päd­ago­gisch gibt es dafür kei­ne zwin­gen­den Grün­de. In Kom­bi­na­ti­on mit dem ihnen bereits zur Ver­fü­gung ste­hen­den intui­ti­ven Wis­sen zu Elek­tro­ni­scher Musik war es den Stu­die­ren­den im Pro­jekt­tu­to­ri­um rasch mög­lich, ent­schei­den­de Para­me­ter zu iden­ti­fi­zie­ren, Klang­ab­läu­fe zu pro­gram­mie­ren und damit Musik zu machen, die ihren Vor­stel­lun­gen ent­sprach. Der Anschluss an ihre musi­ka­li­sche Lebens­welt, die Ver­traut­heit mit Auto­ma­tis­men aus vie­len ande­ren Lebens­be­rei­chen – all das ermög­lich­te eine schnel­le Aneig­nung von Kennt­nis­sen und Fer­tig­kei­ten, die als musi­ka­lisch wert­voll und rele­vant erlebt wurden.

Zum Ver­gleich: In der Kunst­päd­ago­gik wer­den völ­lig selbst­ver­ständ­lich Pro­duk­ti­ons- und Repro­duk­ti­ons­tech­ni­ken behan­delt, die nicht auf hän­di­schen, kör­per­li­chen Fer­tig­kei­ten beru­hen, son­dern wo es um das Bedie­nen von Maschi­nen oder Soft­ware, das Steu­ern auto­ma­ti­scher Abläu­fe geht. Der Wert eines Rea­dy­ma­des von Mar­cel Duch­amp oder eines Drucks von Andy War­hol wird eben nicht danach beur­teilt, wie­viel Dis­zi­plin oder tech­ni­sche Beherr­schung für die Erstel­lung nötig waren, son­dern nach sei­ner ästhe­ti­schen Relevanz.

Die Nut­zung tech­ni­scher Pro­zes­se und Werk­zeu­ge in künst­le­ri­schen Kon­tex­ten dient nicht zuletzt der Refle­xi­on der tie­fen Wech­sel­wir­kung, ja Durch­drin­gung zwi­schen Mensch und Werk­zeug. War­um sol­che The­men und Poten­tia­le aus­klam­mern, wie dies an Musik­schu­len zu gesche­hen scheint? War­um nicht tech­ni­sche Musik­prak­ti­ken the­ma­ti­sie­ren, die eine so offen­sicht­li­che lebens­welt­li­che Rele­vanz haben?

Übeprozesse als Ausschlussmechanismen

Eine Fähr­te auf der Suche nach Ant­wor­ten scheint uns zu sein: die Not­wen­dig­keit, aus­gie­big und lan­ge kör­per­lich zu üben, ist zu einem Selbst­zweck gewor­den. Auch Musik­ma­chen mit Sequen­zern wird bes­ser, wenn man es prak­ti­ziert, es bedarf aber eben nicht der glei­chen Dis­zi­plin und des metho­di­schen Trai­nings wie das z. B. beim Unter­rich­ten des Gei­gen­spiels üblich ist, um ers­te Ergeb­nis­se zu erzie­len. Die­se Aspek­te der Ver­mitt­lung schei­nen so zen­tral zu sein, dass sie bei der Selek­ti­on des Musik­schul­an­ge­bo­tes den ent­schei­den­den Aus­schlag zu geben schei­nen. Fra­gen von ästhe­ti­schem Wert oder lebens­welt­li­cher Rele­vanz schei­nen dage­gen in den Hin­ter­grund zu treten.

Wir sind der Ansicht: das soll­te nicht so sein.

Der­ar­ti­ge Prio­ri­tä­ten­set­zun­gen die­nen unter ande­rem auch der Aus­le­se: nur, wer sich die hohen Anfor­de­run­gen des Instru­men­tal­un­ter­richts finan­zi­ell und zeit­lich jah­re­lang leis­ten kann, wird hier bedient. Das grenzt die­je­ni­gen aus, die sich das eben nicht leis­ten kön­nen, aber auch die, deren musi­ka­li­sche Inter­es­sen damit nicht abge­deckt wer­den. Mehr dazu z. B. bei Anna Bull: Class, Con­trol and Clas­si­cal Music.

Fit für die Zukunft?!

Aber auch Musik­schu­len zah­len einen Preis dafür, rele­van­te, ver­brei­te­te Musik­prak­ti­ken zu mar­gi­na­li­sie­ren – sie schmä­lern die eige­ne Rele­vanz. Dafür scheint es auch an Musik­schu­len und Musik­hoch­schu­len durch­aus ein Bewusst­sein zu geben.

Die­sen Ein­druck bestä­ti­gen zum Bei­spiel Stim­men vom Sym­po­si­um „Fit für die Zukunft!?“ Ent­wick­lung von Musik(hoch)schulen im 21. Jahr­hun­dert aus künst­le­ri­scher und musik­päd­ago­gi­scher Per­spek­ti­ve. Statt­ge­fun­den hat es im Mai 2024 an der Uni­ver­si­tät der Küns­te Ber­lin (Doku­men­ta­ti­on dazu).

Für ein Fea­ture des Deutsch­land­funk zu dem Sym­po­si­um hat sich Bar­ba­ra Metz­ger, ehe­ma­li­ge Pro­fes­so­rin für ele­men­ta­re Musik­päd­ago­gik an der Hoch­schu­le für Musik Würz­burg, so geäu­ßert „…dass man durch die gan­zen gesell­schaft­li­chen und welt­po­li­ti­schen Ent­wick­lun­gen gezwun­gen ist, zu reagie­ren, eine gesell­schaft­li­che Ant­wort (…) zu geben, wäre für uns in den letz­ten Jah­ren unvor­stell­bar gewe­sen.“ Das heißt im Umkehr­schluss: jetzt ist die­ser Zwang da, Ände­run­gen in der Musik­päd­ago­gik ste­hen an. Um Fach­kräf­te­man­gel ent­ge­gen­zu­wir­ken, um Ant­wor­ten auf Her­aus­for­de­run­gen einer hete­ro­ge­nen Gesell­schaft zu liefern.

Eine posi­ti­ve Visi­on for­mu­liert Prof. Dr. Ivo I. Berg, von der UdK Ber­lin im glei­chen Fea­ture: „Es wäre schön, wenn es uns in Zukunft gelingt, eben unter­schied­li­che­re Sti­le anspre­chen zu kön­nen und auch unse­ren musik­kul­tu­rel­len Hori­zont auch [sic] zu verändern.“

Wir wür­den uns freu­en, wenn so eine Hori­zont­er­wei­te­rung auch Elek­tro­ni­sche Musik, ins­be­son­de­re auch nicht-hand­ge­spiel­te, auto­ma­ti­sier­te Musik ein­be­zieht. Aus den Nischen spe­zi­el­ler Gen­res ist sol­che Musik längst im all­ge­mei­nen Bewusst­sein ange­kom­men. Fast jeder hat eine Vor­stel­lung, was ein „Beat“ ist. Das Wis­sen, wie er gemacht wird, soll­te nicht nur in Rah­men ver­mit­telt wer­den, die auf Elek­tro­ni­sche Musik spe­zia­li­siert sind, wie z. B. lev. Es soll­te heu­te zum all­ge­mei­nen Kanon musi­ka­li­schen Wis­sens gehö­ren, es soll­te auf­find­bar sein im Ange­bot von städ­ti­schen und frei­en Musikschulen.

Es gibt viel ver­spre­chen­de Ansät­ze, wie zum Bei­spiel den Schwer­punkt Digi­ta­le Musik­pra­xis im Stu­di­um Lehr­amt Musik an der Hoch­schu­le für Musik und Thea­ter Ros­tock. Dar­über hin­aus braucht es aus unse­rer Sicht eine grund­sätz­li­che Neu­aus­rich­tung ästhe­ti­scher Wer­te in der Musikpädagogik.

Zu der dafür not­wen­di­gen Dis­kus­si­on hof­fen wir hier einen Bei­trag zu leis­ten. Es ist uns bewusst, dass wir mit die­sem Arti­kel kei­ne zwin­gen­de, logi­sche Argu­men­ta­ti­on vor­le­gen, die die Not­wen­dig­keit einer ästhe­ti­schen Reeva­lua­ti­on auto­ma­ti­sier­ten Musik­ma­chens schlüs­sig beweist. Auch sind die Erkun­dun­gen im Rah­men des Pro­jekt­tu­to­ri­ums nicht dar­auf ange­legt, stich­hal­ti­ge empi­ri­sche Ergeb­nis­se zu produzieren.

Viel­mehr geht es uns um eine Ein­la­dung, den ästhe­ti­schen Wert auto­ma­ti­sier­ter elek­tro­ni­scher Musik aus der Pra­xis sol­cher Musik ken­nen zu ler­nen und tief sit­zen­den Vor­be­hal­ten gegen­über „Knopf­chen­drü­cke­rei“ eine dif­fe­ren­zier­te­re Betrach­tung entgegenzustellen.

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