Electronic Music Jam an der Pablo-Neruda-Bibliothek

with No Comm­ents

von Gis­bert Schürig

Momentaufnahmen

Eine mas­si­ve Atta­cke viel zu vie­ler Klän­ge häm­mert mono­ton auf die Ohren ein, strengt an, nervt. Statt eines trans­pa­ren­ten Groo­ves aus geschmack­voll aus­ge­wähl­ten und lie­be­voll plat­zier­ten Drums und Sounds bekommt man gefühlt das kom­plet­te Klang­re­per­toire von einem hal­ben Dut­zend Musi­kapps um die Ohren geschlagen.

Erst all­mäh­lich, dann aber ganz deut­lich, erwächst aus eher zufäl­li­gen Klang­kom­bi­na­tio­nen eine musi­ka­li­sche Kon­stel­la­ti­on, die alle im Raum in ihren Bann zieht. Nie­mand hat­te genau die­se Mischung von Bäs­sen und Akkor­den gesucht, aber für ein paar Minu­ten schei­nen alle über­ein­zu­stim­men: genau die­se Klän­ge sind genau jetzt exakt richtig.

Wäh­rend die Klän­ge der Jam dezent aus den Boxen tönen, ver­sin­ken zwei Neu­gie­ri­ge gemein­sam in den klang­li­chen Mög­lich­kei­ten einer Musik-App. Per Adap­ter und Kopf­hö­rer akus­tisch mit­ein­an­der ver­bun­den, haben sie sich aus dem Raum­klang aus­ge­klinkt und bege­ben sich auf ihre eige­nen Klang­ex­plo­ra­tio­nen. Erst als die Jam inne­hält, weil der Besit­zer der Elek­tron Digi­takt sein mit­ge­brach­tes Instru­ment erklärt, klin­ken sie sich wie­der ein.

Musik machen als gemeinsame Aktivität

Von Mai bis Dezem­ber 2024 hat der Bezirk Fried­richs­hain-Kreuz­berg eine monat­li­che Jam­ses­si­on elek­tro­ni­scher Musik in der Pablo-Neru­da-Biblio­thek geför­dert: die Elec­tro­nic Music Jam. Hier ein kur­zer Bericht, kom­bi­niert mit eini­gen grund­sätz­li­chen Über­le­gun­gen zum jam­men Elek­tro­ni­scher Musik.

Initi­iert habe ich die Jam aus meh­re­ren Gründen:

Ers­tens lie­be ich es, gemein­sam Musik zu improvisieren.

Zwei­tens stel­len Jam Ses­si­ons Musik machen als gemein­sa­mes Tun in den Mit­tel­punkt. Es geht nicht in ers­ter Linie um ein Klang­er­geb­nis, son­dern um den gemein­sa­men Pro­zess.
Musik als Akti­vi­tät zu den­ken, als Musi­cking scheint mir gera­de beson­ders wich­tig, denn Musik wird heu­te oft gleich­ge­setzt mit den digi­ta­len Daten, mit denen sich Auf­nah­men spei­chern und wie­der abspie­len las­sen. Daten, wie sie von Musik­strea­ming­diens­ten wie Spo­ti­fy oder Apple Music bereit­ge­stellt wer­den. Oder auch digi­ta­le Daten, die von spe­zia­li­sier­ten KI-Diens­ten berech­net wer­den, um anhand von Text-Prompts Musik zu gene­rie­ren.
Bei der Dis­kus­si­on sol­cher Ange­bo­te scheint gele­gent­lich aus dem Blick zu gera­ten, was das hör­ba­re Abspie­len gestream­ter oder KI-gene­rier­ter Daten zu Musik macht: die mensch­li­che Rezep­ti­on, also Akti­vi­tä­ten von Wahr­neh­mung, Ein­ord­nung, Inter­pre­ta­ti­on.
Musi­ka­li­sche Bedeu­tung ist nicht objek­tiv vor­han­den, sie exis­tiert inner­halb mensch­li­chen kul­tu­rel­len Aus­tauschs. Und Jam­men ist eine Form des Musik­ma­chens, die den Aus­tausch und das Mit­ein­an­der betont.

Ange­sichts der diver­sen Ansprü­che, die ich hier mit dem Jam­men ver­bin­de, erscheint es mir ange­mes­sen, erst­mal zu klä­ren, was das eigent­lich ist, eine „Jam“.

Eine Jam – was ist das?

Was eine Jam ist, dazu kur­sie­ren durch­aus ver­schie­de­ne Vor­stel­lun­gen, hier eine klei­ne Auswahl:

  • Eine mög­li­che Vari­an­te ist die Jazz-Jam­ses­si­on: ein meist offe­ner Treff von Musiker*innen, die ver­traut sind mit dem Reper­toire der Jazz-Stan­dards und die­se gemein­sam als Rah­men für abwech­seln­de Solo-Impro­vi­sa­tio­nen nutzen.
  • Im Hip­Hop kann eine Jam die offe­ne Kom­bi­na­ti­on von Beats, impro­vi­sier­ten Raps und Break­dance bezeichnen.
  • Eine Jam kann aber auch eine Pas­sa­ge im Kon­zert einer Band mei­nen, die sich aus­ge­dehn­ter gemein­sa­mer Impro­vi­sa­ti­on widmet.
  • Eine Jam im Pop kann dar­aus bestehen, prä­gnan­te Pas­sa­gen aus meh­re­ren Musik­stü­cken mit­ein­an­der anzu­spie­len oder singen

Gemein­sam ist die­sen For­men eine Dia­lek­tik aus Regeln und Frei­raum.
Die Eini­gung auf bestimm­te musi­ka­li­sche For­men, z. B. Akkord­fol­gen, Rhyth­men oder Atmo­sphä­ren schafft eine Basis für spon­ta­ne musi­ka­li­sche Äußerungen.

Von frei­er Impro­vi­sa­ti­on unter­schei­det sich eine Jam dadurch, dass der gemein­sa­me Rah­men das Reper­toire mög­li­cher impro­vi­sa­to­ri­scher Äuße­run­gen ein­grenzt. Der Schwer­punkt liegt nicht auf maxi­ma­ler indi­vi­du­el­ler Expres­si­vi­tät, son­dern auf der gemein­sa­men Kon­struk­ti­on musi­ka­li­scher Bedeutung.

Jammen und Elektronische Musik

Eini­ge Gen­res Elek­tro­ni­scher Musik haben eine struk­tu­rel­le Nähe zum jam­men. Eine DJ, die mit pro­du­zier­ter Musik eine Tanz­nacht gestal­tet, arbei­tet auch in einem Span­nungs­feld von Regeln und impro­vi­sa­to­ri­schem Frei­raum.
Kraut­rock-Musi­ker wie Tan­ge­ri­ne Dream sind bei ihren Kon­zer­ten sowohl unter­ein­an­der, als auch mit ihren Sequen­cern und Syn­the­si­zern in einen impro­vi­sa­to­ri­schen Dia­log getre­ten. Neben den künst­le­ri­schen Zie­len haben auch die Eigen­hei­ten und Begren­zun­gen der Musik-Maschi­nen den Fluss der Musik geprägt.

Gen­re­bezeich­nun­gen wie Jamtro­ni­ca bezeich­nen Musi­ken, die Mit­tel Elek­tro­ni­scher Musik und Ansät­ze des Jam­mens mit­ein­an­der verbinden.

Die Dyna­mik auto­ma­tisch ablau­fen­der Sequen­cer, die sich im Pro­zess des Spie­lens fort­wäh­rend wei­ter umge­stal­ten las­sen bie­tet ein tech­ni­sches Gegen­über. Mit den in die Ober­flä­chen und Klang­er­zeu­gung ein­ge­schrie­be­nen kul­tu­rel­len Ent­schei­dun­gen und Regeln kann ich als ein­zel­ner in einen Dia­log tre­ten. In einen Dia­log mit der Musik- und Tech­nik­ge­schich­te, aus der die­se Gerä­te ent­stan­den sind. Ich kann erkun­den, wel­che Mög­lich­kei­ten sich mir eröff­nen, aber auch ver­su­chen, die­se Mög­lich­kei­ten zu erwei­tern, gegen den Strich zu bürs­ten. Ich kann jammen.

Die Elec­tro­nic Music Jam zielt auf bei­des: Jam­men als ein Erkun­den und Aus­rei­zen Elek­tro­ni­scher Musik­in­s­ru­men­te, und Jam­men als ein gemein­sa­mes Schaf­fen musi­ka­li­scher Atmo­sphä­ren und Dyna­mi­ken, spon­tan und im direk­ten Austausch.

Rhythmische Synchronisation

Wodurch ergibt sich das Mit­ein­an­der, wenn man zusam­men Musik macht? Was braucht es, damit es nicht wie ein Neben- oder Über­ein­an­der von Klän­gen wirkt, son­dern sich der Ein­druck einer gemein­sa­men Klang­ge­stal­tung ein­stellt? Wie stellt man musi­ka­li­sche Zusam­men­hän­ge zwi­schen den Klän­gen her?

Dar­auf gibt es vie­le Ant­wor­ten, eine lau­tet: durch rhyth­mi­sche Syn­chro­ni­sa­ti­on. Klän­ge, die in nach­voll­zieh­bah­ren zeit­li­chen Zusam­men­hän­gen ste­hen, wer­den in unse­rer Wahr­neh­mung zu Klang­mus­tern, wer­den zu Beats und Groo­ves, die aus dem Zusam­men­spiel erwachsen.

Die­se Her­an­ge­hens­wei­se haben wir vor­ran­gig bei der Elec­tro­nic Music Jam praktiziert. 

Wäh­rend bei einer Jam mit hand­ge­spiel­ten Instru­men­ten ein Groo­ve nur auf­kommt, wenn alle Mit­spie­len­den sich phy­sisch auf rhyth­mi­sche Kon­stel­la­tio­nen ein­schwin­gen, ste­hen bei Elek­tro­ni­scher Musik tech­ni­sche Hilfs­mit­tel zur Verfügung:

Meh­re­re Sequen­cer las­sen sich rhyth­misch auf­ein­an­der syn­chro­ni­sie­ren. Die Klän­ge, die mit die­sen Sequen­cern abge­spielt wer­den ste­hen so qua­si auto­ma­tisch in Bezie­hung zueinander.

Fehlstart

Eine beque­me Mög­lich­keit, digi­ta­le elek­tro­ni­sche Musik­in­stru­men­te zu syn­chro­ni­sie­ren ist Able­ton Link. Im Gegen­satz zur Syn­chro­ni­sa­ti­on per ana­lo­ger Clock oder Midi-Clock benö­tigt Link kei­ne Ver­ka­be­lung son­dern funk­tio­niert über ein gemein­sa­mes Netzwerk.

Beim ers­ten Ter­min der Elec­tro­nic Music Jam haben wir zu die­sem Zweck das WLan der Pablo-Neru­da-Biblio­thek genutzt und waren mit einer stot­tern­den und immer wie­der aus­set­zen­den Syn­chro­ni­sa­ti­on kon­fron­tiert. Ide­al für das Erzeu­gen stres­si­ger Stol­per­beats oder unbe­zo­ge­ne rhyth­mi­sche Über­la­ge­run­gen, gemein­sa­mer Groo­ve: Fehlanzeige.

Als Lösung erwies sich bei der zwei­ten Jam ein mobi­les, nur für die Jam genutz­tes Netz­werk. Nun lie­fen die diver­sen Sequen­cer ver­schie­de­ner Musi­kapps tat­säch­lich syn­chron, stell­te sich wie selbst­ver­ständ­lich ein Ein­druck gemein­sa­men Groo­vens ein. Dank gebührt mei­nem Kol­le­gen Piotr Nied­zwiecki für die Hil­fe beim Kon­fi­gu­rie­ren des Routers.

Ein guter Rahmen

Auf der Basis die­ses Netz­werks hat die Jam dann regel­mä­ßig am drit­ten Mitt­woch des Monats den Musik­raum der Pablo-Neru­da-Biblio­thek in Schwin­gun­gen ver­setzt. Der Musik­raum erwies sich als ein guter Rah­men: ver­ka­bel­te Laut­spre­cher ste­hen dort bereit, bei eini­gen Jams wur­den auch E-Pia­no und E-Gitar­re, die dort zur Aus­stat­tung gehö­ren, gespielt.

Vor allem aber wur­de, wie sich das ange­sichts des Namens gehört, mit Musik-Apps und Syn­the­si­zern Musik gemacht. Beson­de­rer Dank an die­ser Stel­le an Han­no Kolo­s­ka von der Bezirks­zen­tral­bi­blio­thek Pablo Neru­da, ohne des­sen enga­gier­te Unter­stüt­zung die Raum­nut­zung und letzt­lich die Jam in die­ser Form nicht mög­lich gewe­sen wäre. 

Musikpraxis vs Musikpädagogik

Der Pablo-Neru­da-Biblio­thek habe ich auch zu ver­dan­ken, dass die­ser Blog­ein­trag hier nur einen Zwi­schen­stand von der Elec­tro­nic Music Jam berich­tet, denn: die Biblio­thek hat zu mei­ner gro­ßen Freu­de die Finan­zie­rung für die Jam bis Dezem­ber 2025 gesichert.

Hier eini­ge Impres­sio­nen von 2024:

Impres­sio­nen von der Elec­tro­nic Music Jam @ Pablo-Neru­da-Biblio­thek 2024

Die Moment­auf­nah­men am Anfang die­ses Tex­tes haben es ange­deu­tet: die Jam war sehr facet­ten­reich. In immer wie­der neu­en Kon­stel­la­tio­nen wur­de gemein­sam musi­ziert, wur­den neben­ein­an­der her Musik-Apps erkun­det oder rich­te­te sich die Auf­merk­sam­keit der Grup­pe auf die Mög­lich­kei­ten einer spe­zi­el­len Drum Machine.

Als eine Her­aus­for­de­rung erwies sich für mich ein gewis­ser Dop­pel­cha­rak­ter des For­ma­tes. Eine Jam ist Musik­pra­xis, der musik­päd­ago­gi­sches Poten­ti­al inne­wohnt. In der Kon­zep­ti­on hat­te ich mir vor­ge­stellt, dass die Jam Neueinsteiger*innen die Chan­ce geben soll, sich in die Pra­xis des Elek­tro­ni­schen Jam­mens all­mäh­lich ein­zu­klin­ken. Erst­mal erfah­re­ne­ren Jam­mern zuzu­hö­ren, auf die Fin­ger zu schau­en und sich über Imi­ta­ti­on und Pro­bie­ren all­mäh­lich zu beteiligen.

Damit das funk­tio­nie­ren kann, braucht es eine Mischung aus erfah­re­ne­ren und neu­en Betei­lig­ten. In der Pra­xis kamen aller­dings bei der Mehr­zahl der Jams so über­wie­gend Anfänger*innen, dass sich kein musi­ka­li­sches Lern­feld ergab, in das die­se sich hät­ten ein­klin­ken kön­nen. Das habe ich dann aktiv kom­pen­siert, indem ich Grund­la­gen demons­triert habe, um einen ers­ten Ein­stieg zu ermög­li­chen. Das hat für vie­le Teil­neh­men­den gut funk­tio­niert, hat aber für das For­mat auch Pro­ble­me mit sich gebracht.

Der Schwer­punkt der Jam hat sich so vom Treff zum akti­ven Musik­ma­chen hin zur musik­päd­ago­gi­schen Ein­stei­ger­ver­samm­lung ver­scho­ben. Natür­lich ist die Kom­bi­na­ti­on von bei­dem im For­mat ange­legt, wenn aber die Ein­stei­ger­be­dürf­nis­se zu sehr über­hand neh­men, senkt es die Attrak­ti­vi­tät der Jam als Musik­ver­an­stal­tung und erschwert so die Eta­blie­rung einer musi­ka­li­schen Jam­kul­tur über meh­re­re Termine.

Die Wur­zeln für die­se Pro­ble­ma­tik lie­gen aus mei­ner Sicht in einer man­geln­den musik­päd­ago­gi­schen Grund­ver­sor­gung: Elek­tro­ni­sche Musik wird nicht genü­gend gepflegt, sei es im Musik­un­ter­richt an Schu­len, durch Ange­bo­te an Musik­schu­len oder ande­re Anbie­ter (Mehr dazu hier). Inter­es­sier­ten steht heu­te zwar ein rie­si­ges Ange­bot an güns­ti­gen Instru­men­ten und Soft­ware zu Ver­fü­gung, auch gibt es eine Fül­le frei zugäng­li­cher Tuto­ri­als und Lehr­ma­te­ria­li­en und instru­ments zum The­ma im Netz. Online-Prak­ti­ken Elek­tro­ni­scher Musik schei­nen mir aber häu­fig auf eini­ge weni­ge spe­zi­fi­sche Wei­sen kanalisiert:

  • auf den Umgang mit Musik als Kon­sum – Strea­ming­diens­te sind hier­für optimiert
  • auf die Pro­fes­sio­na­li­sie­rung je Ein­zel­ner zu Musik­pro­du­zie­ren­den, die obi­ge Diens­te bespie­len – also Tuto­ri­als für den bes­ten Mix
  • auf die Dis­kus­si­on tech­ni­scher Umset­zun­gen, Neue­run­gen oder Geschich­te spe­zi­fi­scher Instru­men­te und Klän­ge – z. B. das wie­der erwach­te Inter­es­se an ana­lo­gen Syn­the­si­zern oder der Mög­lich­kei­ten, mit Künst­li­cher Intel­li­genz Musik zu machen

All die­se Blick­win­kel sind rele­vant und soll­ten gepfegt wer­den, kri­tisch sehe ich, dass Musik als eine kol­lek­ti­ve ästhe­ti­sche Pra­xis mir unter­re­prä­sen­tiert scheint. Die Jam war von vorn­her­ein als eine Ant­wort auf auf die­se Situa­ti­on gedacht und die auf­ge­tre­te­nen Pro­ble­me unter­strei­chen gera­de die Wich­tig­keit sol­cher Formate.

Mensch & Maschine

Musik zu jam­men bedeu­tet, spon­tan zu reagie­ren und zwar in Bezie­hung zu all den gemein­sam pro­du­zier­ten Klän­gen und Rhyth­men. Zu viel Vor­her­seh­bar­keit im Zusam­men­spiel birgt dabei die Gefahr der Mono­to­nie – es wird lang­wei­lig. Zu viel Unbe­re­chen­bar­keit wie­der­rum droht, den gemein­sa­men Rah­men zu spren­gen, musi­ka­li­sches Mit­ein­an­der kann auch zu einem Neben- oder gar Gegen­ein­an­der wer­den. Jam­men ist eine Kunst, die es in de Grup­pe zu pfle­gen gilt und auch mit elek­tro­ni­schen Instru­men­ten kein Selbstläufer.

Viel­mehr stel­len gera­de die erwei­ter­ten Mög­lich­kei­ten, die elek­tro­ni­sche Instru­men­te Ein­zel­nen ermög­li­chen beim Jam­men eine Her­aus­for­de­rung dar. Wenn es mit einer Drum Machi­ne bei­spiels­wei­se mühe­los mög­lich ist, hoch­en­er­ge­ti­sche, völ­lig über­bor­den­de Drum­patterns, die eine Schlag­zeu­ge­rin schon nach kur­zer Zeit kom­plett erschöp­fen wür­den, auto­ma­tisch qua­si end­los ablau­fen zu las­sen, dann kann das im Rah­men einer Jam recht schnell zu einem über­sät­tig­ten, mehr ner­vi­gen als trei­ben­dem akus­ti­schem Durch­ein­an­der führen.

Einen Klas­si­ker ers­ten Aus­pro­bie­rens mit Sequen­cern von Musik-Apps nen­ne ich die „Back­stein­wand“:

Sämt­li­che Instru­men­te einer Drum Machi­ne spie­len zu allen mög­li­chen Zei­ten. Beim Aus­tes­ten der musi­ka­li­scher Mög­lich­kei­ten in Extre­me zu gehen ist sinn­voll und poe­tisch, man könn­te von einer Art Initia­ti­ons­ri­tus spre­chen, der nun­mal durch­schrit­ten wer­den muss. Im Kon­text einer Jam aber ist die „Back­stein­wand“ nur in weni­gen beson­de­ren Situa­tio­nen ein sinn­vol­ler Beitrag.

Das Bei­spiel zeigt eine Beson­der­heit des Jam­mens mit elek­tro­ni­schen Instru­men­ten auf: Bei Jams mit hand­ge­spiel­ten Instru­men­ten bedarf es einer moto­ri­schen Beherr­schung die­ser Instru­men­te, um ein dyna­mi­sches, inter­es­san­tes Zusam­men­spiel zu ermög­li­chen. Die Auto­ma­tis­men von Sequen­cern und Drum Machi­nes for­dern ins­be­son­de­re Fähig­kei­ten der Zurück­hal­tung und geziel­ten Aus­wahl her­aus. Schließ­lich ist es über­haupt kein Pro­blem und auch gän­gig, kom­plet­te Arran­ge­ments mit Drums, Bäs­sen & wei­te­ren Syn­the­si­zern solo und aus dem Steh­greif zu impro­vi­sie­ren. Für das Errei­chen musi­ka­li­scher Fül­le sind die Mit­spie­len­den nicht nötig, daher Bedarf gelin­gen­des Jam­men mit elek­tro­ni­schen Mit­teln eines ent­schie­de­nen Inter­es­ses und einer bewuss­ten Hin­wen­dung zum gemein­sa­men Gestalten.

Werkzeugkasten

Sehr gute Erfah­run­gen habe ich damit gemacht, die Klän­ge mit Hil­fe des Over­to­ne Ana­ly­zer in Echt­zeit zu visua­li­sie­ren und so die Kom­bi­na­ti­on und Wech­sel­wir­kung der vie­len ein­zel­nen Klän­ge zu ver­deut­li­chen. Die visu­el­le Ver­schmel­zung von Drums, Bäs­sen und Syn­the­si­zern zu einem Gesamt­bild hat das Bewusst­sein für das klang­li­che Mit­ein­an­der deut­lich geschärft.

Wei­te­re Werk­zeu­ge und Rah­men, die sich als sinn­voll erwie­sen haben:

  • wenn vie­le Teil­neh­men­de zunächst eine ori­en­tie­ren­de Ein­füh­rung benö­tigt haben, haben wir klar unter­schie­de­ne Info-Blö­cke mit Jam-Pas­sa­gen kombiniert
  • eine atmo­sphä­ri­sche Licht-Situa­ti­on hat die Jams auch akus­tisch fein­sin­ni­ger gemacht
  • eine grund­sätz­li­che Offen­heit, Teil­neh­mer ihre Betei­li­gung sel­ber navi­gie­ren zu las­sen, sich also an der Jam zu betei­li­gen oder aber allein oder zu zweit mit Kopf­hö­rer ein Instru­ment zu erkun­den; die­se Pra­xis hat eine ange­neh­me, infor­mel­le Atmo­sphä­re sehr gefördert
  • die Spe­zia­li­sie­rung Ein­zel­ner auf je ein Instru­ment hat einer klang­li­chen Über­la­dung entgegengewirkt
  • alle Bei­trä­ge habe ich an einem zen­tra­len Misch­pult situa­tiv zusam­men­ge­mischt, gele­gent­lich mit Effek­ten ver­se­hen und damit die Ent­wick­lung einer inter­es­san­ten gemein­sa­men Dra­ma­tur­gie unterstützt
  • the­ma­ti­sche Vor­ga­ben z. B. sich zunächst in einer Ambi­ent-Jam nur auf Zusam­men­klän­ge zu kon­zen­trie­ren und dann nur spar­sam rhyth­mi­sche Ele­men­te hin­zu zu fügen haben zu wun­der­bar poe­ti­schen Pas­sa­gen geführt
  • nicht zuletzt hat sich auch die Auf­tei­lung in Klein­grup­pen, die in Fol­ge ein­an­der vor­spie­len als sinn­voll erwiesen

Ausblick & Danke

Die Elec­tro­nic Music Jam in 2025 ist zunächst mal ein­fach eine Fort­füh­rung das For­mats um ein wei­te­res Jahr. Die­se Kon­ti­nui­tät bie­tet eine Chan­ce, die ich sehr schät­ze: wie schon gesagt ist Jam­men Form musi­ka­li­scher Impro­vi­sa­ti­on, die nicht maxi­ma­le indi­vi­du­el­le Expres­si­on son­dern die gemein­sa­me Kon­struk­ti­on musi­ka­li­scher Bedeu­tung in den Mit­tel­punkt stellt. Es ist eine spie­le­ri­sche, impro­vi­sa­to­ri­sche Form der Com­mu­ni­ty Music, die zu kul­ti­vie­ren sich lohnt: sie bie­tet erfül­len­de Erfah­run­gen musi­ka­li­schen Mit­ein­an­ders. Durch Regel­mä­ßig­keit erge­ben sich vie­le Mög­lich­kei­ten der Ent­wick­lung und Ver­fei­ne­rung deli­ka­ten Zusam­men­spiels – Ich freue mich sehr auf die Musi­ke­rin­nen und Musi­ker, kom­plet­te Neu­ein­stei­ger oder erfah­re­ne Knöpf­chen­dre­her, die in die­sen Pro­zess mit einsteigen.

Für die Elec­tro­nic Music Jam 2024 hier noch­mal mein herz­li­cher Dank an Bezirk und Bezirks­zen­tral­bi­blio­thek Fried­richs­hain-Kreuz­berg, an Han­no Kolo­s­ka und all die inspi­rie­ren­den Musi­ke­rin­nen und Musi­ker, die die Jam bis­lang mög­lich gemacht und belebt haben!

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