von Rica
Im Oktober 2021 fand ein Workshop für Schulkinder der vierten Klasse in der Mittelpunktbibliothek in Köpenick statt.
Die zehnjährigen Kinder haben sich in den Herbstferien zu der Bücherburg aufgemacht, um dort an zwei halben Tagen zu lernen, wie man mit dem Computer Musik machen kann! Sie haben sich auf eine Reise durch die Musikgeschichte begeben und sind mit eigenen kleinen Musikstücken wieder nach Hause gekommen, noch etwas verwirrt durch die ganzen verrückten Klänge und Geräusche!Hier nun ein kleiner Erlebnisbericht oder eher Abenteuer-Roman.
Reise durch die Musikgeschichte
In der ersten Fragerunde nach der aktuellen Lieblingsmusik erklangen Namen wie Rammstein, Shakira und Schlager. Die Beatles waren schon weniger Kindern bekannt und als ich schließlich zu der ersten Hörprobe im Musik-Ratespiel kam – mittelalterliche kirchliche Vokalmusik – staunten die GrundschülerInnen nicht schlecht. Sowas hatten sie vorher aber noch nie gehört!
So hoher Männergesang! Perotin! Wer soll das denn sein? Aus Japan? Spanien? Von 1978 vielleicht? Als wir schließlich bei der Geräuschmusik (Luigi Russolo – „Risveglio di una città“) und experimenteller Musik der 50er und 60er Jahre ankamen (Pierre Henry, Karlheinz Stockhausen und ja! auch George Harrison mit dem Album „No Time Or Space“!), brach das Gelächter aus! Begeisterung! Zerstreuung! Die sind doch wahnsinnig gewesen! Ein verrückter im Porzellanladen!
Gar nicht so leicht, bei solch einer klanglichen Herausforderung nicht selbst verrückt zu werden. Ein meditativer Lauschzustand war eher nicht der Fall. Aber alles in allem war die experimentelle Noise Musik und Techno hoch im Kurs. Klassische Musik (Bach, Debussy) wurde kontroverser diskutiert, hat aber dennoch zu Gänsehautmomenten geführt!
Experimente mit dem Sampler und der eigenen Stimme
Ausgehend von Phonetik-Experimenten wie die des Arrigo Lora-Totino schritten die Kinder dann selbst zur Spielerei mit der Stimme. Natürlich erst nach einer ordentlichen Ladung Theorie! Was ist eigentlich der Unterschied zwischen akustischer und elektronischer Musik? Wie sieht ein Lautsprecher von innen aus und wie kommt überhaupt der Klang in mein Ohr und in mein Gehirn? An dieser Stelle sei gesagt: Hut ab! Die komplexe Anatomie des Innenohrs hatten die Kinder auf dem Kasten. Und die ist ja nicht gerade unkomplex: Membran, Hammer, Schnecke, mit Wasser gefüllt, dann sind da Sinneshärchen, die tanzen in der Klangwasserbewegung und machen eine Reizweiterleitungsexplosion bis ins Hirn. Wer hat sich bloß diesen ganzen Wahnsinn ausgedacht!?
Egal, auf in die Praxis! An den Laptops saßen dann zwei Kopfhörer-Menschen, die neugierig auf den Bildschirm schauten und teilweise noch ein paar Schwierigkeiten mit dieser Maus hatten. Sie bewegten sich in Pure Data in einem Patch, das mit den lev-Tools arbeitet. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Modulen, die es erlaubt, direkt mit dem Musikmachen loszulegen und dabei spielerisch die Möglichkeiten elektronischer Musik zu erforschen. Ein gewisses Seedorf namens Marten aus dem lev-Kollektiv soll dahinterstecken: Wenn man ganz tief in die Module eindringt – so ein Mythos – soll man sogar seinen blinden Fleck sehen können, allerdings nur von hinten.
Mit dem Stimmen-Sampler können die Kinder ihre Stimme aufnehmen und dann abspielen: Einmal, zweimal, für immer in Dauerschleife (auch Loop genannt), schneller, langsamer, höher, tiefer, vorwärts, rückwärts, manche sogar seitwärts ins Paralleluniversum oder auf Stop, rien ne va plus! – Aufnahme läuft! Oder man spielt nur einen kleinen Teil der Aufnahme ab, so dass vielleicht nur ein B-B-Buchstabe des ganzen Wortes oder nur noch ein kürzzzeerrererercchrrrr Laut zu hören ist. Das erste Mal seine eigene Stimme zu hören ist merkwürdig! Aber die Gruppe von zehn Kindern hatte sehr viel Spaß damit, Wörter und Stimme neu kennenzulernen und der Vergänglichkeit von Klang eins auszuwischen. Außerdem guckt hier niemand auf die Rechtschreibung.
Das ganze Unterfangen endete mit einem kleinen Konzertfinale, für welches man sich auch erstmal einen Bandnamen und einen Stücktitel überlegen musste! Die Musik kann leider aus Gema- oder Datenschutz-rechtlichen Gründen hier nicht wiedergegeben werden. Aber sie war großartig!
Von einer Klangmeditation zu graphischer Notation
Neuer Tag, neuer Anfang. Alle lagen mehr oder weniger entspannt auf dem Rücken, die Augen geschlossen und dieses Mal ging es auf eine eher meditative Klangreise, mit dem Stück Falaise von Floating Points. Die Kinder haben anschließend aufgemalt, was sie in ihrer Phantasiewelt gesehen haben. Von Lavaströmen, Pferdegalopp und Prinzessinnen bis hin zu Mordversuchen in Zügen, brennenden Burgen und Space Trips war alles dabei. Ausgehend von den Zeichnungen ging es zu graphischer Notation: Wie schreibt man denn solch eine verrückte Geräuschmusik für MusikerInnen überhaupt auf?
Die Kinder staunten nicht schlecht bei den wilden Strichen und Kritzeleien (Hashagen – Cymbalon; Kagel – Transición II; Kriwet – Sehtexte; Ligeti – Volumina; Logothetis – Odyssee). Das soll eine Komposition sein? Und das können MusikerInnen spielen?
Strom und Musik: Der selbstgebaute Controller
Tja und dann erst die Instrumente! Und was sind überhaupt Controller? Und wie kann ich mit einem Stromkreis Musik machen? So viele Fragen! Nach einer Tobepause an der frischen Luft – die war dringend notwendig, um die ganze verrückte Musikwelt zu verdauen – kam wieder ein kurzer und knackiger Theorieteil. Was gibt es eigentlich für elektronische Musikinstrumente? Wie funktioniert ein Synthesizer? Ein Sampler? Do you remember from yesterday? Ach und wie sieht eigentlich ein Drumcomputer aus? Oh und hier! Ein DJ Controller, ein MIDI Keyboard und yeah finally: Der MakeyMakey!
Makey Makey in der Praxis
Dieser kleine mächtige Microcontroller wird einfach per USB-Kabel an den Computer angeschlossen. Und dann kann man an die Kontaktstellen des MakeyMakey Krokodilkabel anklemmen und seinen kleinen Zauber-Circuit bauen! Der Stromkreis wird durch den Menschen als elektrischer Leiter geschlossen. Das heißt nichts anderes, als dass der Controller durch Berührung gespielt wird. Man stelle sich also fünf runde Knetstücke vor oder fünf Kreise aus Alufolie, die auf Papier geklebt sind. Eines der Elemente führt zurück zum MakeyMakey und ist die Erde. Die anderen Elemente führen vom MakeyMakey weg und sind jeweils die einzelnen Klänge, die durch Berührung ausgelöst werden. Wenn ich nun mit der einen Hand das Element der Erde berühre und mit der anderen Hand eine Klangknete, dann schließe ich den Stromkreis und ein Klang kommt aus dem Computer. Hier wurde wieder Pure Data benutzt und mit dem lev-Tools ein Patch gebaut, der es erlaubt, einen Synthesizer oder einen Drum-Sampler mit dem MakeyMakey zu spielen.
Makey Makey-Installation aus Pappe und Alufolie
Größte Begeisterung hat der Moment ausgelöst, als wir eine Menschenkette gebildet haben und der Strom durch die ganze Gruppe geflossen ist und dann mit allen zusammen einen Snare-Schlag getriggert wurde. Alle waren im wahrsten Sinne des Wortes elektrisisisisert. Aber glücklicherweise konnte ich ihnen die Angst vor einem Stromschlag nehmen. Von den MakeyMakeys geht nämlich keine Gefahr aus. Die Stromversorgung aus dem USB-Kabel ist viel zu gering, als dass man den Strom überhaupt spüren könnte. Alle denkbaren Berührungsängste und Streitereien zwischen den Kindern wichen ebenfalls prompt der Begeisterung für dieses physikalische Phänomen!
Musikproduktion und Frequenztest
Aaaaahh Eeeehh Iiihh Oooh Uuhh Bananabananabanana! Wir standen im Kreis und haben zusammen unsere Stimmen aufgenommen. Ein Gemeinschaftswerk sollte entstehen! Singen, Lachen, Husten und auch ein paar wilde Improvisationen am Flügel waren bei der Aufnahme-Session in unserem imaginären Tonstudio dabei. Für manche war es das allererste Mal an einem Instrument zu sitzen. Die Musik auf der kleinen SD-Karte wanderte dann auf den Computer und dann in ein Programm namens Ableton live.
Ich habe ihnen gezeigt, wie man eine Aufnahme bearbeitet und was man so in einem Tonstudio macht und wie das aufgebaut ist: Da ist ein Aufnahmeraum, ganz viele Mikrofone, ein anderer Raum mit Lautsprechern und Mischpult und dem Computer oder ganz früher Tonband. Und wie bearbeitet man Musik? Was ist ein Filter? Was ist ein Fade-In oder ein Fade-Out? Was ist ein Sample? Und noch vielmehr Fragen!
Hier also entsteht Musik, die man in der Werbung, im Film oder in einem Video hört! Beim Frequenztest waren die Energiebündel zwischen 18,5 bis 19 kHz noch dabei. Die älteren Personen in der Runde hörten bei 12 bis 17,5 kHz nichts mehr. Dieser wilde Haufen hatte super Ohren und war voller Neugierde! Teilweise war es eine Herausforderung für sie, mit den Kabeln und Computerfunktionen zurecht zu kommen. Und das Prinzip der Erdung verstand man teilweise eher „learning by doing“. Aber mit ein bisschen Hilfe waren bald alle kichernd und staunend mit ihren Kopfhörern im regen Austausch. Da freut man sich am Ende des Workshops zu hören: „Ich möchte gerne noch 200 Jahre hierbleiben!“.
So long! Un caro saluto aus der Klangschale!
Rica