von Deniz Dilek und Fabian Werfel
MUSIK mit MUSIK
Wir machen also Musik mit Musik – dabei nutzen wir gerne das Material von Musikkassetten, um es in Echtzeit zu manipulieren, zu verzerren und zu verfremden. Eine erweiterte und direktere Kontrolle über die Abspieltechnik macht aus einem Kassettenrekorder ein ausdrucksstarkes Musik-Instrument.
SCHLEIFEN AUS DER VERGANGENHEIT
Fabian und Deniz kennen die Kassetten noch aus ihrer Kindheit, wo sie unabhängig voneinander Mitschnitte aus dem Radio und eigene Quatsch-Aufnahmen mit Freunden machten.
Heute längst von digitalen Tonträgern überholt, fasziniert Fabian das Medium der Musikkassette immer noch aufgrund seiner Einfachheit und Zugänglichkeit. Tapes waren die ersten wiederbeschreibbaren Tonträger. Nicht nur abhörbar, sondern auch selbst bespielbar. Auch die LoFi-Ästhetik von Kassetten erlebt er grade heute als willkommene Beschränkung auf das Wesentliche.
In den 60er Jahren waren erschwingliche Rekorderradios auf dem Consumer-Markt angekommen. Ihre Blütezeit hatten sie in den 70ern. Das führte dazu, dass Jugendliche Mixtapes und eigene Lieder produzierten. Die obige Aufnahme haben die Fanatischen Frisöre aus Eisenach 1988 komplett selbst gemacht. Durch den regen Austausch von Musik-Kassetten entstand eine florierende Szene in Ostdeutschland und viele Eigenproduktionen wie diese schafften es sogar bis ins Radio. Zu dem Thema sprach Fabian vor einigen Jahren mit Lutz Schramm, dem Moderator des „Parocktikums“ im DDR-Radio „DT64“, höre hierzu den Podcast „Pogo in der Kirche„.
Inspiriert von diversen Turntablisten wie Kid Koala, Christian Marclay und Otomo Yoshihide waren Deniz‘ Anfänge in der Elektronischen Musik geprägt von Experimenten mit Plattenspielern und auseinandergeschnittenen und wieder zusammengeklebten Vinyl-Platten. Eines seiner ersten elektronischen Musikprojekte (kindergarten jazz destruction) bestand aus diversen collagierten Sounds, die er damals aus Scratchings und Loop-Schichtungen diverser Jazz- und Pop-Platten bastelte. Für eine zusätzliche Schicht an verlangsamten bzw. beschleunigten Noises sorgten die „Geräusche in Stereo“ der gleichnamigen beliebten Platten-Reihe von EUROPA.
Suchen und Finden der Kassettenrekorder-Hacks
Das Basteln an den Tapemachines entspringt unserem Wunsch nach „analogem Sampling“, nicht als Ersatz sondern als eine Alternative, um auch losgelöst von Computern und Apps Musik mit Audiosamples zu spielen. Auf youtube exisitiert eine kleine aber feine Tape-Loop Szene. Mit einfachen Mitteln wie 4-Track-Rekordern, selbstgebastelten Tapeloop-Kassetten und Effektpedalen werden Ambient- oder Noise-Stücke improvisiert und komponiert. Die Grenzen zwischen Amateuren und Profis zerfließen dabei.
Zur Modifikation und Erweiterung alter Kassettenrekorder fanden wir diverse hilfreiche Videos. Fertige Hacks von Kassettenrekordern stehen mittlerweile auch auf etsy zum Verkauf. Einerseits gibt es Tutorials diverser Mod-Projekte inklusive Anleitungen und Löt-Plänen, andererseits kursieren Konzert-Mitschnitte und Einblicke in musikalische Spielweisen und Live-Setups. Das alles zeigt anschaulich, wie aus handelsüblichen und alten gebrauchten Kassettenrekordern Loop-Maschinen und Live-Sampler werden.
TapeMod – Eingriffe in Schaltkreise
Nach ersten Recherchen kauften wir auf kleinanzeigen unterschiedliche Modelle alter Kassettenrekorder und nutzten letztlich den bereits häufig für Modifikationen verwendeten Thomson MG3000. Wir besorgten die notwendigen Bauteile wie Kabel, Gehäuse, Schalter, Druck-Taster, Drehregler (einstellbare elektrische Widerstände = Potentiometer). Dann öffneten wir den Kassettenrekorder und sahen uns erst einmal um.
Dank einer ausführlichen Anleitung von Rich Bennett (siehe Linksammlung unten) fanden wir die Motorsteuerung ohne Umwege. Kassettenrekorder treiben die Tonbänder mittels eines kleinen Elektromotors an. Dieser wird im Werk mittels eines variablen Widerstandes kalibriert, um trotz Bauteilvarianzen die originalgetreue Wiedergabegeschwindigkeit zu gewährleisten. Diesen variablen Widerstand (=Trim-Potentiometer) trennten wir von der Platine und verbanden die offenen Lötstellen per Kabel an unseren eigenen Poti (kurz für Potentiometer), den wir direkt ins Gehäuse einbauten, sodass er von außen erreich- und steuerbar wurde.
So schraubten, bohrten, schnitten und löteten wir uns durch Schaltpläne und Kassettenrekorder. Welche Tape-Maschinen dabei entstanden sind, beschreiben wir im Folgenden:
Erster TapeMod -> Der Verzehrer
Für unseren ersten TapeMod (dem „Verzehrer“) benötigten wir 2 Drehregler, 2 Druckknöpfe, 1 Druckschalter und 1 Kipp-Schalter. Alles fanden wir im alteingesessenen Berliner Elektronikladen Segor. Als Vorbild diente uns ein Video auf Rich Bennett’s YouTube-Kanal „The sound of Machines“. Sein Mod ermöglicht Kontrolle über die Geschwindigkeit, beinhaltet einen Verzerrer und Knöpfe zur momentanen Stummschaltung.
Zweiter TapeMod -> Der Mellow-Ton
Unser zweiter Nachbau (den wir „Mellow-Ton“ taufen) basiert auf einem weiteren hier dokumentierten Tapemod von Rich Bennett. Dieser Mod ähnelt dem Mellotron, ein 1963 erstmals erschienenes elektronisches Musikinstrument und historisches Urbild des Samplers. Im Kern beeinflusst die Modifizierung erneut die Kontrolle der Abspielgeschwindigkeit, diesmal aber in 4facher Ausführung. Dadurch wird das Tape ähnlich wie ein Keyboard mit 4 Tasten (= 4 Noten) spielbar, wobei jeder Taste eine Geschwindigkeit zugewiesen werden kann. Außerdem beinhaltet der Hack einen Master-Geschwindigkeits-Regler und einen Tastknopf zum rhythmischen Stumm/Laut-Schalten.
Dritter TapeMod -> Der Nullpitcher
Unsere dritte Modifikation „Nullpitcher“ basiert auf den obigen Geschwindigkeitsreglern. Wir experimentierten hier aber mit den Wiederstandswerten des Drehreglers. Dadurch kann man den Motor soweit drosseln, dass die Kassette zum Stehen kommt -> perfekt für langsame Drones und Flächen und zum Spielen mit dem Eigenklang der Kassetten, mit dem Rauschen und Kratzen des Mediums Tape.
VISUELLES DESIGN
Die Idee bunter Sampling-Welten aus collagierten Klängen spiegelt sich im visuellen Design wider, für das die Malerin Monika Michalko unsere erste Reihe Tapemachines liebevoll bemalte.
SCHLEIFEN DER ZUKUNFT
In kommenden Mods wollen wir einzelne Funktionen der Nachbauten neu kombinieren. Außerdem haben wir uns vorgenommen, einen Versuch mit dem Echo-Modul „Pt2399“ zu unernehmen und weiter mit Verzerrer-Schaltungen zu experimentieren. Nachdem wir als Kollektiv ein erstes Konzert mit dem Tapemachine-Ensemble gespielt haben, haben wir definitiv Lust auf mehr. Weitere Auftritte sind bereits in Planung. Auch zur pädagogischen Arbeit scheinen uns die Tapemachines vortrefflich geeignet: das Öffnen und Modifizieren der Geräte gewährt spielerisch Einblicke in die meist verschlossenen elektronischen Blackboxes, mit denen wir im Alltag ständig handtieren.
Abschließend wünschen wir euch viel Spaß beim Video-Mitschnitt der Improv-Session von 48h Neukölln. Die Tapemachines spielten die Musiker*innen des lev Kollektivs aufgeteilt in drei Duos und zuletzt als großes Ensemble zusammen.
LINKSAMMLUNG:
Gespräch über DIY-Kassettenkultur in der DDR: https://www.podcast.de/episode/519820396/pogo-in-der-kirche-ostdeutschland-erzaehlt-12
kurzer historischer Abriss in Sachen Aufnahmemedien: https://www.youtube.com/watch?v=-bVketPj5to
„Blank Tape: Electronic Cassette Culture“ https://www.youtube.com/watch?v=lzqWGkf8tsw
https://blog.zzounds.com/2019/03/11/a-beginners-guide-to-tape-music-1944-1970/
„making tapeloops“ https://www.youtube.com/watch?v=OfdrYDJ-NnA
„making destructive tapeloops“ https://www.youtube.com/watch?v=heQAl-KusDA
a history of tapelooping: https://www.youtube.com/watch?v=v4Y8t10LMuk
Weitere interessante Tapemusik-Projekte:
„apple and loops“ https://www.youtube.com/watch?v=ZKXS6OT-gqg
„amulets“ https://www.youtube.com/watch?v=OgmvJOZ-zk8