von Deniz Dilek
Im November fanden zwei Workshops zum Thema Soundscapes und Field Recordings in Brandenburg statt. Der erste Lev-Workshop war an Erwachsene gerichtet und fand im Kloster Chorin statt, den zweiten habe ich zusammen mit Piotr Niedzwiecki im Rahmen einer deutsch-polnischen Jugendbegegnung unter dem Titel „Europäisches Kulturerbe“ in Kooperation mit dem Oderbruch Museum und der Begegnungsstätte Schloß Trebnitz angeleitet.
Anstiftung zum Hören
Beide Workshops starteten mit dem Auffinden und Hören der Klänge aus unserer nächsten Umgebung- vorerst nur mit den Ohren und noch ganz ohne Recording Devices. Dabei spielten Ideen und Höraufgaben des kanadischen Klangforschers R. Murray Schafer eine Rolle. Der von ihm geprägte Begriff „Soundscape“ setzt sich aus den Wörtern „Sound“ (Klang/Geräusch) und „Scape“ (Landschaft) zusammen. Schafer definiert eine Klanglandschaft als die Gesamtheit aller akustischen Ereignisse an einem Ort: angefangen von Naturklängen über Sprache bis hin zu Arbeits- und Maschinengeräuschen und auch Musik.
Meinen Auftakt dafür habe ich Schafers Buch “Anstiftung zum Hören” entnommen:
nachdem jeder einen individuellen Hör-Ort gefunden und ausgewählt hat, notiert er/sie innerhalb von 10 Minuten so viele Geräusche wie wahrnehmbar. Die Liste wird dann nach verschiedenen Kriterien (Klangqualitäten und Klangverursacher) getaggt und anschliessend in der Gruppe miteinander diskutiert. Je nachdem, ob der ausgewählte Hör-Ort draussen oder drinnen, auf dem Land oder in der Stadt ist, dominieren andere Klangdynamiken und -qualitäten den Soundscape. Die Diskussionen ergaben sowohl mit den Erwachsenen als auch mit den Jugendlichen interessante Einblicke in klangökologische sowie wahrnehmungspsychologische Aspekte unserer akustischen Umgebung.
Workshop im Kloster Chorin
Zum Workshop im Kloster Chorin kamen die Teilnehmenden mit sehr unterschiedlichen Interessen und Vorkenntnissen. Manche hatten einen musikalischen Background, andere nicht. Unter ihnen waren Menschen mit einem beruflichen Film- oder Radio-Background, die bereits mit Audio-Recording zu tun haben und neugierig auf neue musikalische Erfahrungen waren oder auch spezifische technische Fragen hatten. Nach der eingangs beschriebenen Anstiftung zum Hören stellte ich diverse Klangbeispiele von Komponistinnen und Klangkünstlern vor, die auf unterschiedlichen philosophischen, ästhetischen und künstlerischen Ideen und Arbeitsweisen mit Field Recordings basieren.
Field Recordings in Soundscapes
Hildegard Westerkamp, für die die akustische Umwelt als eine Art Sprache fungiert, komponierte mit Kits Beach Soundwalk ein Stück, für das sie für ihre Radiosendung einen Sound Walk aufgenommen hat und diesen anschließend mit einem Voice-Over kommentiert.
Für den Klangkünstler Francisco Lopez sind Mikrofone und Aufnahmegeräte keine neutralen Vermittler, sondern beeinflussen den ursprünglichen Klang direkt. Daher möchte er, dass die Hörer sich auf den inneren Klang seiner Werke konzentrieren. Sein Stück “La Selva“ ist eine Soundscape-Montage, in der er verschiedene Field-Recordings aus dem Regenwald in Costa Rica zu einem Track zusammenfügt und dabei dramaturgisch in die Field Recordings eingreift.
In den meisten Soundscape-Kompositionen bleibt die aufgenommene Klang-Landschaft ganzheitlich, das heisst auch wenn Teile verfremdet und mithilfe von Editing, Filtern oder Audioefffekten verändert werden, bleibt das Prinzip der immersiven Ganzheit einer akustischen Landschaft erhalten, die analog zum Bild einer von einem Protagonisten betretenen Landschaft als ganzheitliches Sorounding funktioniert.
Field Recordings in der Elektronischen Musik
Hingegen wird z.B. in der Musique Concrete und auch in Pop und Electro viel mit wahrnehmbaren Schnitten und Sprüngen gearbeitet. Durch Schneiden, Manipulieren und Prozessieren der Recordings werden dabei neue abstrakte musikalische Gebilde geschaffen. So verbinden sich bearbeitete oder collagierte Recordings von Naturgeräuschen, Technikgeräuschen, Stimmen und instrumentalen Klängen zu etwas anderem, das mit den ursprünglichen Field Recordings nicht mehr viel zu tun haben muss. Mithilfe des digitalen Audio-Processings können viele neue Klänge aus ggf. nur einem einzigen kurzen Recording-Schnipsel gewonnen werden, wie in dem Stück “Imago” von Trevor Wishart, in dem zu Beginn das kurze beinahe spröde Ursprungs-Recording vorgestellt wird, aus dem Wishart anschließend eine ganze Klangpalette unterschiedlicher Klangfarben und -figuren zu einer knapp 25 minütigen Komposition zusammenfügt.
In Techno und Electro werden Field Recordings oft genutzt, um beispielsweise Drum-Patterns organischer klingen zu lassen. Ausserdem werden Aufnahmen von Raumklängen und Umweltgeräuschen in Genres wie Folktronica, Ambient-Pop und Glitch als Texturen integriert, die synthetische Sounds im Spektrum erweitern- wie z.B. in Sofie Birch’s Track Morgenånderoder:
Ein weiterer Ansatz ist der Fokus auf Rhythmen in den Geräuschaufnahmen. Hier ist ein interessanter Track von Guiseppe Ielasi, bei dem aus Rhythmen von mehreren geschichteten Field Recordings eine polyrhythmische Struktur gebaut wird, die als Beat-Fundament für eine relativ spät einsetzende Synthie-Melodie dient:
Eine völlig andere ästhetische Idee in der Nutzung von Field Recordings findet man z.B. in der Noise Musik, wo die Aufnahmen durch Verzerrungs- und Feedback-Effekte geschleift oder bestimmte Frequenzbänder betont und andere herausgefiltert werden, um einen harschen Klangcharakter zu erhalten. In John Wieses “Laugh Therapy” sind die Aufnahmen von Objekten zu hören, die am Boden zersplittern und die wie brechendes Glas klingen. Durch die Höhen- bzw. Mittenlastigkeit der bearbeiteten Aufnahmen und die schiere Häufigkeit des schnellen aufeinanderfolgenden Zersplitterns wird eine Heftigkeit erzeugt, die klanglich ironisch mit dem therapeutischen Lachen des Albumtitels zusammengeht.
mit Field Recordern durch das Kloster
Nach einem kurzen Technik-Überblick über verfügbare Recorder und Mikrofone sowie einer Einführung in das praktische Recording mit den mitgebrachten Handy Field Recordern ging es in Teams durch das Kloster Chorin. Einige Teilnehmenden konzentrierten sich dabei auf die Hall-Räume des Klosters, andere performten mit gefundenen Objekten kurze Geräuschfiguren. Letztlich konnten die Teilnehmenden ihre favorisierten Aufnahmen auswählen, um diese mit dem Sampler Borderlands (ios-App) weiter zu bearbeiten. Mit Borderlands lassen sich durch Berührung des Touch Screens sogenannte granulare Wolken aus Feldaufnahmen erstellen. Aus einem importierten Field Recording können dabei viele kleine Klang-Partikel mit unterschiedlichen Tonhöhen und Positionen ausgelesen und zu neuen Klängen geschichtet werden. Zuletzt hörten wir noch einige Sounddesign-Möglichkeiten mit Filtern und Effekten wie Echo und Hall und knüpften damit auch an die anfangs vorgestellten Kompositionen und deren Klang-Bearbeitungen an.
Hier sind einige Field Recordings der Teilnehmenden sowie die daraus komponierten kurzen Skizzen des Soundscape Workshops Kloster Chorin:
Deutsch-Polnischer Workshop
Der Field Recording Workshop im Schloss Trebnitz war Teil einer deutsch-polnischen Begegnung von Kindern und Jugendlichen aus Letschin (DL) und Pszczew (PL). In diesem Workshop stand das spielerisch-experimentelle Arbeiten mit den Aufnahmen im Vordergrund. Dazu sammelten die Kinder mit den Recordern an zwei historischen Orten (Festung Küstrin und Fort Gorgast) diverse Klänge. Zusätzlich zu den Field Recordern gaben wir ihnen noch einen Soma Aether in die Hände. Der Aether ist eine Art Radio-Skanner, der die Frequenzen elektromagnetischer Strahlung hörbar macht. Anschließend stellte ich verschiedene Apps vor, mit denen die Teilnehmenden mit ihren Sounds kollektiv live improvisieren oder komponieren können. Mir war dabei wichtig, dass sie zunächst einen Überblick über unterschiedliche Möglichkeiten des Arbeitens mit Audio Recordings bekommen, um anschließend selbst entscheiden zu können, ob sie mit ihren Recordings eher abstrakt musikalisch arbeiten oder diese z.B. narrativ in ein Hörspiel integrieren wollen.
Improvisieren und Komponieren mit Field Recordings
Während der Workshop-Woche lernten die Jugendlichen verschiedene Tools und Schritte der kreativen Audiobearbeitung kennen. Mit der App Audioshare säuberten und editierten sie zunächst ihre Aufnahmen, um so die besten Parts für die weitere Bearbeitung parat zu haben. Rhythmisch kreativ konnten sie mithilfe des Koala Samplers werden, mit dem sie kurze Patterns und Beat-Sequenzen erstellten. Mit Borderlands improvisierten wir wiederum gemeinsam in Gruppen, wobei der Workshop-Raum kurzerhand in eine audiovisuelle Performance-Bühne verwandelt wurde.
Alle mit den Sounddesign-Tools entstandenen neuen Klänge wurden zusammen mit den ursprünglichen Field Recordings sowie einigen Voiceovers der Kinder, die Piotr zuvor mit jeder Gruppe in einem separaten Studiozimmer aufgenommen hatte, von den Tablets nach Ableton Live auf einen Laptop übertragen. Jede Gruppe wählte dann in einer gemeinsamen Kompositions-Session mit nur ein wenig Unterstützung von mir ihre jeweiligen Klänge aus und platzierte diese auf einer finalen Timeline. Inspiriert von einem parallel stattfindenden großartigen Comic-Workshop zeichnete ein Mädchen Bilder, die die gesamte Sound Workshop-Woche visuell zusammenfassen. Alle Workshop-Stücke findet ihr hier: